Was sind interne und externe Themen für das Energiemanagementsystem? – So gelingt Ihnen die strategische Einbindung gem. der Norm ISO 50001
Die neue Ausgabe der ISO 50001 (ISO 50001:2018) enthält die neue – aber vielen bereits aus den Normen ISO 9001, ISO 14001, ISO 45001 und anderen bekannte – Anforderung, relevante interne und externe Themen sowie Anforderungen interessierter Parteien, die für die energiebezogene Leistung und das Energiemanagementsystem relevant sind, zu bestimmen. Diese sind dann bei der Bestimmung der Risiken und Chancen für die Fähigkeit des Energiemanagementsystems, seine beabsichtigten Ergebnisse zu erreichen (ebenfalls eine neue Anforderung der ISO 50001:2018), zu berücksichtigen. Ggf. sind Maßnahmen zur Risikovermeidung/-verminderung oder Nutzung von Chancen festzulegen. Ziel dieser Anforderungen ist es, sicherzustellen, dass das Energiemanagement wirklich die für seine Leistungsfähigkeit relevanten Themen behandelt. In diesem Beitrag wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, was diese Anforderungen für das Energiemanagementsystem bedeuten.
Weitere Beiträge zum Energiemanagement und der Norm ISO 50001:
1) Die ISO 50001:2018 ist da
2) Energieeffizienz im Verkehr – so können Sie den Energieverbrauch optimieren
3) Energieeffizienz in der Informations- und Kommunikationstechnik
Welche internen oder externen Themen und welche Anforderungen interessierter Parteien sind für das Energiemanagement relevant?
Um die Frage zu beantworten, sollte man zunächst klären, was denn die erwartete Leistung des Energiemanagementsystems ist. Nach dem Ziel der Norm ist dies zunächst eine Verbesserung der energiebezogenen Leistung – bezogen auf Energieeinsatz, Energieverbrauch und Energieeffizienz. Daneben müssen aber auch (obligatorische Selbstverpflichtung in der Energiepolitik) gesetzliche und andere Anforderungen erfüllt werden. Die anderen obligatorischen Selbstverpflichtungen in der Energiepolitik (Verfügbarkeit von Informationen und Ressourcen, Beschaffung energieeffizienter Produkte und Dienstleistungen und Berücksichtigung der energiebezogenen Leistung bei der Auslegung) stellen keine Leistungsanforderungen dar, sondern unterstützten die Verbesserung der energiebezogenen Leistung. Damit muss es also bei der strategischen Betrachtung mindestens (enge Auslegung des „Kontextes“) um Themen und Anforderungen gehen, die die Verbesserung der energiebezogenen Leistung und die Einhaltung rechtlicher und anderer Anforderungen gefährden oder unterstützen könnten. Schauen wir aber in den informativen (nicht verbindlichen) Anhang A der ISO 50001:2018, finden wir dort als Beispiele für Themen, die sich zum Vor- und Nachteil für die energiebezogene Leistung und das Energiemanagementsystem auswirken können, unter anderem:
- Staatliche und branchenspezifische Ziele,
- Geopolitische Umfelder,
- Wirkung auf den Klimawandel,
- Überlegungen zur Nachhaltigkeit.
Diese Beispiele sprechen eher für eine weite Auslegung der zu betrachtenden Themen und Anforderungen – und dies ist nachvollziehbar, wenn man sich die Geschichte der Energiemanagementsysteme ansieht, die ja als Beitrag zur Bekämpfung des vom Menschen verursachten Klimawandels begann (etwa mit der Norm EN 16001, die im Jahr 2009 auf Anregung der Europäischen Kommission zur Unterstützung ihrer Bemühungen zur Steigerung der Energieeffizienz der europäischen Industrie, die wiederum das Erreichen der Klimaziele befördern sollte, verabschiedet wurde; auch in Deutschland wurde die Einführung von Energiemanagementsystemen im integrierten Energie- und Klimaprogramm von 2007 zuerst beschlossen). Eine weitere Auslegung des „Kontextes“ sollte also Themenbereiche wie den Klimawandel, politische Ziele im Energiebereich, geopolitische Betrachtungen und Überlegungen zur Rolle der Energie bei der Nachhaltigkeit miteinschließen.
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Wie stehen der Klimawandel und Energieziele in Zusammenhang mit dem Kontext des Energiemanagementsystems?
Zur Vorbereitung der 24. UN-Klimakonferenz im Dezember 2018 hat der Weltklimarat (IPCC) im Oktober einen Sonderbericht „1,5 Grad globale Erwärmung“ veröffentlicht. Die Erstellung war auf der 21. Klimakonferenz 2015 angeregt worden – auf dieser war beschlossen worden, dass der Anstieg der Erdtemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius, wenn möglich auf max. 1,5 Grad Celsius begrenzt werden soll. Dieses „Ziel“ (es ist natürlich kein Ziel im Sinne von anzustrebendem Zustand) geht darauf zurück, dass zunehmend deutlich geworden war, dass bereits bei einer Erwärmung zwischen 1,5 und 2 Grad in manchen Regionen und in empfindlichen Ökosystemen schwere Schäden durch den Klimawandel drohen.
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Die Ergebnisse des veröffentlichten Sonderberichts
Der Sonderbericht sollte die Notwendigkeit einer Begrenzung des Klimawandels auf 1,5 Grad und seine Machbarkeit untersuchen. Seine Ergebnisse: Bereits heute ist die Erdtemperatur in Folge menschliche Aktivitäten um 1,0 °C angestiegen und sie wird noch weiter ansteigen, aber vermutlich aufgrund der bereits in der Atmosphäre befindlichen Treibhausgase nicht 1,5 °C erreichen. Das 1,5 °C-„Ziel“ ist also grundsätzlich noch erreichbar. Die mit einer Erwärmung von 1,5 °C verbundenen Folgen und Risiken des Klimawandels wären deutlich geringer als die einer Erwärmung von 2 °C. Insbesondere kleine Inseln, niedrig gelegene Küstengebiete und Flussdeltas hätten bessere Chancen zur Anpassung an den (dann langsameren) Anstieg des Meeresspiegels, aber auch Hitzeextreme und Starkniederschläge würden weniger wahrscheinlich. Um das 1,5 °C-„Ziel“ noch zu erreichen, wäre aber eine schnellere Reduktion der Freisetzung von Treibhausgasen erforderlich als für ein 2 °C-„Ziel“: sie müssten bis 2030 gegenüber 2010 um etwa 45 Prozent abnehmen und um das Jahr 2050 netto Null betragen. Das würde „schnelle und weitreichende Systemübergänge in Energie-, Land-, Stadt- und Infrastruktur- (einschließlich Transport und Gebäude) sowie in Industriesystemen erfordern.“ Dazu kommt die Notwendigkeit einer Kohlendioxidentnahme (z.B. durch Aufforstung, aber auch die Nutzung von Biomasse mit Kohlendioxid-Abscheidung und Speicherung) von mindestens 100 (bis 1.000) Gt im 21. Jahrhundert. Machbarkeit und Nachhaltigkeit des oberen Bereiches sind umstritten, was wiederum schnelle Emissionsreduktionen fördert.
Die geforderten schnellen und weitreichenden Systemübergänge in Industriesystemen sind in Kap. 4 des Berichts beschrieben. Er beschreibt zunächst die begrenzte Literatur zum Thema – mit anderen Worten: wir haben noch gar nicht ernsthaft angefangen, uns wissenschaftlich mit dieser Herausforderung zu beschäftigen. Aber über alle Industriesektoren hinweg würden sie eine Verringerung des Endenergiebedarfs um ein Drittel bedeuten. Dazu kommen Umstellungen der Energieversorgung (Wasserstoff und Strom sowie Biomasse statt fossiler Energieträger) und die Nutzung von Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (Eisen-/Stahl- und Zementindustrie). Alleine werden diese aber nicht ausreichen, sondern es sind weitere Umstellungen erforderlich (Recycling von Materialen, Umstellung von Stahl und Beton auf Holz im Bausektor etc.). Ohne weiter in die Tiefe gehen zu können: Die im Sonderbericht beschriebene Welt wäre eine andere als die heutige; Energiemanagement wäre auf dem Weg dahin mit ganz anderen Themen als „nur“ Effizienz verbesserungen beschäftigt. Glauben wir, dass die Menschheit sich für ernsthafte Maßnahmen im Sinne eines 1,5°C-„Ziels“ entscheidet? Niemand kennt die Zukunft, aber durchspielen sollte man den Gedanken ruhig einmal. Was würde das für Ihr Unternehmen bedeuten?
Muss auch das geopolitische Umfeld bei der Bestimmung interner und externer Themen des Energiemanagementsystems betrachtet werden?
Die Auseinandersetzung mit Energiefragen begann in breiteren Kreisen 1973 mit der ersten Ölkrise; meistens wird das Thema der Abhängigkeit unserer Energieversorgung von nicht immer zuverlässigen und angenehmen Lieferländern gerne verdrängt. Deutlich mehr als die Hälfte des deutschen Energieverbrauchs wird weiterhin durch Öl und Gas gedeckt, in beiden Fällen stammen rund 40 Prozent davon aus Russland. Ein aktuelles Beispiel für geopolitische Folgen ist der Bau der Pipeline Nordstream 2 in der Ostsee: Die EU hat eigentlich – vor allem auf Betreiben der östlichen EU-Länder – das Ziel, unabhängiger von russischen Gaslieferungen zu werden; EU-Kommission und europäisches Parlament sind daher gegen die Pipeline; und auch die US-Regierung, die sogar mit Sanktionen droht. Wie auch immer das Projekt weitergeht, der Schaden ist angerichtet: die europäische Energieunion wird von Deutschland offensichtlich nicht ernst genommen und der Alleingang hatte schon mehrfach Folgen: so verwiesen etwa Polen und die Slowakei bei ihrer Verweigerung der Aufnahme von Flüchtlingen auf den deutschen Nordstream-2-Alleingang, mit dem wir die europäische Solidarität aufgekündigt hätten. Mit den strategischen Betrachtungen im Rahmen des Energiemanagementsystems haben solche politischen Fragen zunächst scheinbar wenig zu tun; aber wenn es z.B. um Investitionen im Zusammenhang mit der Umstellung von Energieträgern geht, könnte man sich schon fragen, auf welches Pferd man da setzt. Kontextbetrachtung könnte dann durchaus heißen, solche Entwicklungen im Auge zu behalten.
Auch das Thema Nachhaltigkeit ist für das Energiemanagement nach der Norm ISO 50001 relevant
Es ist aber nicht nur eine Frage der Abhängigkeit, die bei den Lieferländern zu betrachten ist, sondern auch eine der moralischen Verantwortung: Was finanzieren die Lieferländer eigentlich mit ihren Einnahmen aus den Öl- und Gaslieferungen? Damit sind wir dann bei Fragen der Nachhaltigkeit, namentlich dem sozialen Pfeiler derselben. Dass die Amerikaner über Sanktionen für Nordstream 2 nachdenken, hat ja mit dem russischen Krieg in der Ostukraine und der Annektion der Krim durch Russland zu tun. Anderswo tun sich auch die Amerikaner schwer, politischen Bedenken nicht nur Worte, sondern auch Taten folgen zu lassen: Saudi-Arabien etwa kommt womöglich mit der Ermordung des Regimekritikers Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 im Istanbuler Konsulat Saudi-Arabiens ebenso davon wie mit dem Krieg im Jemen und der Finanzierung des Islamischen Staates (IS) durch reiche saudi-arabische Privatleute. George W. Bush (vor seiner Präsidentschaft selbst in der Ölindustrie tätig) hat 2006 in seiner Ansprache zur Lage der Nation gesagt, die Amerikaner seien beim Öl wie Drogenjunkies: sie brauchen den Stoff, alles andere sei ihnen egal. Das gilt nicht nur für Amerikaner. Aber gilt das auch für Ihr Unternehmen? Zur Nachhaltigkeit könnte auch gehören, den Einsatz von Öl und Gas zu reduzieren, um solchen Aktivitäten wie den oben genannten das Geld zu entziehen.
Offene Fragen
Ist es wirklich nötig, Fragen wie die oben gestellten im Zusammenhang mit seinem Energiemanagementsystem zu stellen? Schließlich hat ja das „andauernde und systematische Vorgaukeln nicht haltbarer Leistungs- und Lieferversprechungen“ etwa der Automobilindustrie, der Bahn oder der Lufthansa (Udo Hansen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Qualität in der Fachzeitschrift Qualität und Zuverlässigkeit (QZ) 10/2018) auch nicht zur Aussetzung von ISO-9001-Zertifkaten geführt. Ebensowenig hat die Unkenntnis der Automobilindustrie darüber, wie dreckig der Dieselmotor im Straßenbetrieb wirklich ist, ihren ISO-14001-Zertifizierungen geschadet. Aber die beginnende Diskussion – für die Udo Hansens Beitrag in der QZ steht – zeigt, dass hier eine notwendige Auseinandersetzung beginnt. Viele Zertifizierungsauditoren dürften die Diskussionen dazu aufmerksam verfolgen; und alle sollten ein Interesse daran haben, dass ISO 50001 nicht auch abgewertet wird, weil die wirklich heißen Eisen gar nicht erst angefasst werden.
Und nun, viel Erfolg bei der Verbesserung Ihrer Energieeffizienz!
Ihr Jürgen Paeger
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