Höhen und Tiefen einer Sicherheits-Fachkraft
„Sie kommen jetzt aber gar nicht günstig. Heute Morgen sind mir zwei Leute ausgefallen, es ist Urlaubszeit und zusätzlich ist noch eine Maschine defekt. Können wir den Termin für die Gefährdungsbeurteilung verschieben?“ Das habe ich soeben von einem Meister gehört.
Was kann man da machen? Gar nichts. Ich bin unverrichteter Dinge wieder gegangen und schreibe jetzt diese Zeilen. Dabei hatte ich mich gut vorbereitet und auf die Arbeit gefreut. Auch den Stau auf der Autobahn hatte ich schon vergessen als ich in der Produktionshalle stand. Aber was wäre die Alternative? Sollte ich auf den Termin bestehen? Den Meister und seine Leute in Bedrängnis bringen, eventuell Fehler oder Terminverzögerungen in der Produktion in Kauf nehmen? Die Stimmung wäre angespannt. Eine kreative Arbeitsatmosphäre wäre nicht aufgekommen. Das wollte ich nicht.
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Warum? Für mich sind die Leute in der Produktion die „Kings“. Sie sind die Könige, die die wichtigste Arbeit im Unternehmen verrichten; die die Versprechen des Vertriebs einlösen; die letztlich das Geld bringen. Meine Philosophie als Sicherheitsfachkraft ist, ihnen das Leben so einfach wie möglich zu machen.
Daher ist es für mich kein Problem, wenn mal ein vereinbarter Termin ausfällt. Auch nicht, wenn er ein zweites Mal ausfällt. Als Sicherheitsfachkraft bin ich normalerweise nicht im Tagesgeschäft tätig. Das Alltagsgeschäft der Führungskräfte wird immer hektischer. Die Anforderungen an sie steigen ständig. Daher ist es nur natürlich, wenn sich die Führungskräfte der Produktion auf das Dringliche konzentrieren und alles andere zunächst beiseitelassen. Dazu gehören auch wichtige Dinge wie Arbeitsschutz. Auch Vertriebsmitarbeiter, Umweltschützer oder QMB kennen das Problem. Die Themen sind zwar wichtig, aber nicht dringlich.
Was kann man da machen? Terminieren und dran bleiben. Und zwar wie eine Klette. Gute Leute im Vertrieb machen es genauso: Sich ständig in Erinnerung bringen. E-Mails schreiben, Anrufen, kurz Vorbeikommen. Zur Not auch mal mit dem Vorgesetzten sprechen. Verbündete suchen.
A apropos Verbündete. Ein wichtiger Verbündeter ist die Personalabteilung. Zumindest theoretisch. Doch praktisch ist sie häufig unterbesetzt und vom Alltagsgeschäft ebenso gefangen. In der Praxis ist der Betriebsrat eine wichtige Stütze und ein mächtiger Verbündeter. Er kann auf Betriebsversammlungen den obersten Chef vor versammelter Mannschaft kritisieren. Er hat ständig Zugang zur obersten Führungsetage und kann das Thema von sich aus vorbringen. Und er hat weitgehende Rechte.
Gemäß § 87 (1) Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und zwei Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts vom 8.6.2004 (Aktenzeichen BAG 1 ABR 4/03 und BAG 1 ABR 13/03) verfügt der Betriebsrat über folgende Mitbestimmungsrechte:
- Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG
- Unterweisungen nach § 12 ArbSchG.
Weitere Mitbestimmungsrechte sind
- Teilnahme an Arbeitssicherheitsausschuss-Sitzungen nach § 11 ASiG
- Beteiligung an der Bestellung und Abberufung von Sicherheitsfachkräften, Betriebsärzten, Sicherheitsbeauftragten gemäß ASiG und SGB VII.
Der Betriebsrat oder Personalrat kann in diesen Fällen segensreich wirken. Er arbeitet jedoch nicht im Detail bei allen Punkten einer Gefährdungsbeurteilung mit. In der Regel fehlt es ihm an Detailwissen und Erfahrung. Aber er kann die grobe Linie, die Strategie beeinflussen. Zum Beispiel: In welcher Tiefe wird die Gefährdungsbeurteilung gemacht? Sollen seelische Faktoren mit berücksichtigt werden? In welcher Reihenfolge sind die einzelnen Abteilungen betroffen? Welche Methode soll angewandt werden? Welche vertiefenden Untersuchungen sollen durchgeführt werden. Wer soll Schulungen durchführen? Er verfügt auch über eine Menge Erfahrung aus vielen Gesprächen und Beschwerden der Beschäftigten, die er in die Arbeit der Sicherheitsfachkraft einbringen kann.
Ein Eingreifen des Betriebsrates kann eine Gefährdungsbeurteilung beschleunigen, vertiefen und in der Umsetzung der gefundenen Maßnahmen sehr positiv beeinflussen.
Das verlangt auch unpopuläre Entscheidungen vom Betriebsrat. Dazu ist leider nicht jeder in der Lage. Früher habe ich gelegentlich Betriebsräte erlebt, die sich auf die Seite von Faulpelzen, Simulanten und ewigen Nörglern gestellt haben. Solche Betriebsräte sind keine Hilfe für den Arbeitsschutz. Bei Themen wie „Essen und Trinken am Arbeitsplatz“ oder „Persönliche Schutzausrüstung“ sind oft unpopuläre Entscheidungen bis hin zu Abmahnungen notwendig. Im Augenblick erlebe ich jedoch nur Betriebsräte, die das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz proaktiv und verantwortungsbewusst angehen, und die schwierige und unpopuläre Entscheidungen unterstützen.
Ein weiterer Verbündeter der Sicherheitsfachkraft bei der Durchsetzung von Interessen ist der QM-Beauftragte. Vor allem dann, wenn man ein Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagementsystem eingeführt hat. Dieses Wortungetüm ist bei vielen Sicherheitsfachkräften nicht beliebt. Oft lehnen sie es als bürokratisch ab. Mein Gegenargument ist: Das Ausmaß der Bürokratie kann man selber bestimmen. Wer es versäumt, bei der Einführung eines solchen Systems mitzumachen, der darf sich hinterher nicht beschweren. Aber wer von Anfang an mitmacht, hat eindeutig bessere Karten und ein sehr mächtiges Instrument in der Hand. Die meisten haben dies noch gar nicht erkannt.
Selbst ohne OHSAS 18001, SCC & Co. lässt sich ein vorhandenes QM-System ausgezeichnet für den Arbeitsschutz nutzen. Ein Beispiel: Die ISO 9001: hier wird jetzt eine stärkere Regelung von ausgelagerten Prozessen gefordert. In kleinen und mittleren Firmen trifft dies auf den Arbeitsschutz zu. Sicherheitsfachkräfte sind Externe. Arbeitssicherheit könnte man als ausgelagerten Prozess bezeichnen. Somit kann man jetzt die Möglichkeit nutzen, die Arbeit dieser Externen stärker zu strukturieren und zu fördern. Darüber hinaus gibt es viele weitere ausgegliederte Prozesse, die den Arbeitsschutz betreffen. Dazu zählen Prüfungen und Wartungen von Betriebs- und Arbeitsmitteln. Sie werden oftmals ohne besondere Kontrolle seitens des Betriebs von externen Fachfirmen durchgeführt. Die Arbeitsberichte über die erfolgte Wartung von Rolltoren, Staplern usw. landen oftmals direkt mit der Rechnung in der Buchhaltung. Eine Kontrolle oder Auswertung durch die Sicherheitsfachkraft findet häufig nicht statt. Die Novelle der ISO 9001 bietet Möglichkeiten, dies zu ändern. Das ist ein hervorragendes Audit-Thema.
Nachdem ich heute Morgen ein kleines Tief erlebt habe, erinnere ich mich zu gerne an ein Hoch, das ich gestern erleben durfte: Letzte Woche rief mich der Produktionsingenieur eines Kunden an und bat mich, ihm die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung aus der Abteilung xy vorzustellen. Er wolle sie bei der Neuplanung der Produktionshalle berücksichtigen.
In den Wochen zuvor habe ich mit Betriebsrat, dem zuständigen Meister und den Mitarbeitern Arbeitsabläufe und Betriebsmittel analysiert und Vorschläge für technische, organisatorische und personenbezogene Maßnahmen gemacht. Glücklicherweise habe ich dabei Bilder gemacht. Von chaotischer Unordnung, schadhaften Steckern, Aschenbechern neben hoch entzündlichen Flüssigkeiten, zerschlissenen Anschlagmitteln und anderen. Gestern war nun die Besprechung mit dem Produktionsingenieur. Wir haben einen kleinen Rundgang durch die betreffende Halle gemacht. Der Produktionsingenieur wollte alles ganz genau wissen. Er will die technischen Vorschläge berücksichtigen. Selbst kostspielige ergonomische Lösungen oder die vorgeschlagene zusätzliche Absaugung will er umsetzen. Auch die Beschäftigten haben wir beim Rundgang einbezogen. Ein alter Hase, der mir vor Wochen seinen Vorschlag zur räumlichen Umorganisation der Abteilung unterbreitete und sagte: „Das predige ich schon seit Jahren, aber keiner hört mir zu“, konnte seine Vorschläge dem Planungsingenieur mitteilen, der sie als sehr wertvoll bezeichnet hat. In einigen Wochen wird die Halle komplett anders aussehen.
Dann werde ich die Änderungen fotografieren, um Vorher-Nachher-Vergleiche zu ermöglichen. Dies wird die Motivation für den Arbeitsschutz weiter fördern. Das ist doch mal etwas Positives.
Ihr
Jörg Stottropp (Sicherheitsfachkraft)
2 Comments
Sehr interessanter Artikel!
Es zeigt sich wieder einmal, dass die Sicherheitsfachkraft nicht nur fachliche Kompetenzen sondern auch kommunikative Kompetenzen haben muss.
Hallo zusammen,
vielen lieben Dank für den spannenden und informativen Beitrag. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass gerade der Arbeitsschutz einer Sicherheitsfachkraft eine enorm große Rolle im Arbeitsalltag spielt. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass kommunikative Kompetenzen absolut notwendig sind in diesem Beruf.