Die Gefährdungsbeurteilung von Gefahrstoffen als Grundlage für systematischen Arbeitsschutz – § 6 der Gefahrstoffverordnung – Serie Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffe Teil 1
Haben Arbeitnehmer bei ihrer Tätigkeit mit Gefahrstoffen zu tun, sind sie besonderen Risiken ausgesetzt. Diese Risiken müssen im Rahmen eines funktionierenden Arbeitsschutzes durch geeignete Maßnahmen minimiert und beherrscht werden. In § 6 Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) ist deshalb festgelegt, dass eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist, um festzustellen, ob Angestellte Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ausüben oder ob bei Tätigkeiten Gefahrstoffe entstehen oder freigesetzt werden können. Ist dies der Fall, ist die Gefährdung für Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter (unter Berücksichtigung der Wirksamkeit bestehender, betrieblicher Schutzmaßnahmen) zu beurteilen. Wird dabei Handlungsbedarf festgestellt, sind zusätzliche Schutzmaßnahmen und ein Verfahren zur Überprüfung ihrer Wirksamkeit festzulegen. Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung ist beim Umgang und der Arbeit mit Gefahrstoffen also ein wesentliches Element des Arbeitsschutzes. Die Vorgehensweise zur „Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffe“ wird in technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) konkretisiert.
Unsere Serie zur Gefährdungsbeurteilung von Gefahrstoffen:
Teil 1: Die Gefährdungsbeurteilung von Gefahrstoffen als Grundlage für systematischen Arbeitsschutz – § 6 der
Gefahrstoffverordnung
Teil 2: Die Gefährdungsbeurteilung als Grundlage für systematischen Arbeitsschutz – inhalative und dermale Gefährdungen
Teil 3: Sicherer Umgang mit Gefahrstoffen – diese Schutzmaßnahmen sind gemäß GefStoffV zu treffen
Wer führt die „Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffe“ durch?
Verantwortlich ist auch nach Gefahrstoffverordnung – wie nach Arbeitsschutzgesetz – der Arbeitgeber. Ergänzend ist in der Gefahrstoffverordnung jedoch gefordert, dass die Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffe durch fachkundige Personen durchgeführt wird. Ist der Arbeitgeber nicht fachkundig, hat er sich fachkundig beraten zu lassen. Fachkundig sind üblicherweise die Fachkraft für Arbeitssicherheit und – gerade bei Gesundheitsgefährdungen – der Betriebsarzt/Betriebsärztin.
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Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffe – das Wissen des Herstellers
Erster Schritt der Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffe ist die Prüfung der Frage, ob Beschäftigte mit Gefahrstoffen arbeiten oder ob bei ihren Tätigkeiten Gefahrstoffe entstehen und/oder freigesetzt werden können. Bei den Gefahrstoffen, mit denen Beschäftigte arbeiten, ist die wichtigste Informationsquelle über die verwendeten chemischen Arbeitsstoffe, das Wissen des Herstellers (bzw. Importeurs oder Lieferanten). Dies wird den Verwendern in Form einer Kennzeichnung gefährlicher Stoffe und Gemische § 4 Gefahrstoffverordnung (der auf die VO (EG) 1272/2008 [CLP- oder GHS-VO] verweist) sowie eines Sicherheitsdatenblattes das der Lieferant nach Art. 31 VO (EG) 1907/2006 dem Abnehmer für alle gefährlichen Stoffe und Gemische zur Verfügung zu stellen hat zugänglich gemacht.
Anwendungsbereich der Gefahrstoffverordnung:
Die Gefahrstoffverordnung wendet sich nicht nur an Arbeitgeber, sondern (vgl. § 2 (7) Gefahrstoffverordnung) gilt darüber hinaus auch für Unternehmer ohne Beschäftigte (die Dritte vor Gefahren durch Gefahrstoffe schützen müssen
– und sich selber ebenfalls schützen sollten) sowie – den Beschäftigten entsprechend – für in Heimarbeit beschäftigte
Personen, für Schüler, Studierende und für „sonstige Personen, die Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ausüben“.
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Ermittlung, ob Beschäftigte mit Gefahrstoffen in Kontakt kommen können
Hierdurch sind aber nicht alle Gefahrstoffe abgedeckt: Zum einen können gefährliche Stoffe bei Tätigkeiten entstehen oder freigesetzt werden. Typische Beispiele hierfür sind:
• mineralischer Staub aufgrund von Bohr-, Stemm-, Fräsarbeiten etc.,
• aus Schweißelektroden entstehende Schweißrauche,
• beim Sägen freigesetzter Holzstaub,
• bei Schneidbrennarbeiten entstehende Pyrolyseprodukte.
Zum anderen ist zu beachten, dass der Anwendungsbereich der Gefahrstoffverordnung über die kennzeichnungspflichtigen gefährlichen Stoffe hinausgeht. Der Begriff Gefahrstoffe umfasst auch „andere Stoffe, …, die Gesundheit und die Sicherheit der Beschäftigten gefährden können“ (§ 2 Gefahrstoffverordnung). Dies können z. B.
• tiefkalte oder heiße Flüssigkeiten,
• erstickende oder narkotisierende Gase oder
• brennbare Stäube, die bei Aufwirbelung eine gefährliche, explosionsfähige Atmosphäre bilden können, sein.
Alle Stoffe, denen ein Arbeitsplatzgrenzwert zugewiesen wurde, sind ebenfalls Gefahrstoffe und daher bei der „Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffe“ zu beachten. Bei der Ermittlung solcher Stoffe können insbesondere Gebrauchsanweisungen und Hinweise des Herstellers, relevante Regeln und Informationen der Unfallversicherung (DGUV-R und DGUV-I), Technische Regeln, Leitfäden von Behörden und anderen sowie Gefahrstoffinformationen von der Unfallversicherung oder der Länder im Internet (GDL, GESTIS, GisChem etc.) helfen. Können für freigesetzte Stäube, Gase, Dämpfe oder Nebel keine ausreichenden Informationen zu ihrer Bewertung ermittelt werden, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass diese giftig, reizend, erbgutverändernd und hautsensibilisierend sind (vgl. 4.2 (13) TRGS 400). Bei der Ermittlung sollte zugleich festgehalten werden, bei welchen Tätigkeiten und in welchen Mengen die Gefahrstoffe verwendet bzw. entstehen oder freigesetzt werden können und welcher Art und Dauer die (mögliche) Exposition der Beschäftigen ist. Bei den Tätigkeiten sind insbesondere auch An- und Abfahrvorgänge, Lagerung, innerbetrieblicher Transport, Reinigungs-, Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten, die Beseitigung vorhersehbarer Betriebsstörungen, Aufräum- und Abbrucharbeiten etc. zu beachten. In § 6 (12) Gefahrstoffverordnung ist festgelegt, dass ein Verzeichnis der im Betrieb verwendeten Gefahrstoffe, geführt werden muss, das Bestandteil der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung sein kann. Es muss enthalten:
• Bezeichnung des Gefahrstoffs,
• Einstufung des Gefahrstoffs oder Angaben zu gefährlichen Eigenschaften,
• im Betrieb verwendete Mengen,
• Bezeichnung der Arbeitsbereiche, in denen Beschäftigte dem Gefahrstoff ausgesetzt sein können,
• Verweis auf das Sicherheitsdatenblatt
Das Verzeichnis kann mit den bereits vorhandenen Informationen erstellt bzw. überprüft werden.
Gefährdungsbeurteilung von Gefahrstofflagern:
In der TRGS 510 „Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern“ ist die Gefährdungsbeurteilung in Nr. 3 abgehandelt. Dort wird darauf hingewiesen, dass Mitarbeiter insbesondere beim Ein- und Auslagern, bei Transporten
innerhalb des Lagers und beim Beseitigen von freigesetzten Gefahrstoffen gefährdet werden können. Die
Gefährdungen durch die Lagerung hängen neben den Eigenschaften der Gefahrstoffe von der Menge der gelagerten
Gefahrstoffe, der Art der Lagerung, der Zusammenlagerung und den Arbeits- und Umgebungsbedingungen (Bauweise,
Raumgröße, Lagerdauer etc.) ab. Entsprechend müssen – abhängig von Menge und Eigenschaften der eingelagerten
Gefahrstoffe – nicht zwingend alle der in Nr. 4 TRGS 510 aufgeführten Schutzmaßnahmen umgesetzt werden.
Abweichungen sind aber in der Gefährdungsbeurteilung festzulegen.
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§ 6 Gefahrstoffverordnung, TRGS 420… – Beurteilung der Gefährdung
Für alle verwendeten oder entstehenden/freigesetzten gefährlichen Arbeitsstoffe ist die Gefährdung unter Berücksichtigung der vorhandenen Schutzmaßnahmen zu beurteilen.
Geringe Gefährdung?
Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob nur eine „geringe Gefährdung“ vorliegt. Das kann dann der Fall sein, wenn nur eine geringe Menge von Gefahrstoffen verwendet oder freigesetzt wird, die Exposition kurz und niedrig ist und die § 8 Gefahrstoffverordnung genannten Schutzmaßnahmen ausreichend sind (siehe § 6 Gefahrstoffverordnung (13)). Ein Beispiel wäre die Aufbewahrung und Verwendung haushaltsüblicher Mengen von Klebstoffen etwa im Büro oder Tätigkeiten mit ätzenden Gefahrstoffen, bei denen ein Hautkontakt ausgeschlossen werden kann. (Bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen in engen Räumen und Behältern kann nach TRGS 400 nie eine geringe Gefährdung vorliegen, ebenso wenig z. B. bei Tätigkeiten mit giftigen, krebserregenden, erbgutverändernden oder fruchtbarkeitsgefährdenden Gefahrstoffen.) Bei Tätigkeiten mit geringer Gefährdung besteht zum Beispiel keine Pflicht zur Erstellung einer Betriebsanweisung und Unterweisung nach § 14 Gefahrstoffverordnung.
Vorliegen standardisierter Arbeitsverfahren
Liegen für eine Tätigkeit aktuelle „standardisierte Arbeitsverfahren“ vor, die auf die Tätigkeiten übertragen werden können (es also keine Abweichungen durch besondere Betriebszustände etc.) gibt, können die dort beschriebenen Maßnahmen ohne weitere Prüfung angewendet werden. „Standardisierte Arbeitsverfahren“ sind z. B.:
• Verfahrens- und stoffspezifische Kriterien nach TRGS 420,
• stoff- oder tätigkeitsbezogene TRGS,
• branchen- oder tätigkeitsbezogene Hilfestellung (etwa der DGUV),
• Expositionsszenarien in erweiterten Sicherheitsdatenblättern,
• (durch Hersteller oder Inverkehrbringer) mitgelieferte Gefährungsbeurteilungen.
In diesem Fall ist das angewandte „standardisierte Arbeitsverfahren“ in der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung anzugeben. Zu prüfen ist, ob die Maßnahmen aus dem „standardisierten Arbeitsverfahren“ umgesetzt sind – ist dies nicht der Fall, müssen diese selbstverständlich eingeführt werden. Abweichungen von einer Stoff oder tätigkeitsbezogenen TRGS sind zu begründen und müssen das gleiche Sicherheitsniveau gewährleisten. Kann man nicht auf solche festgelegten Maßnahmen zurückgreifen, müssen die notwendigen Maßnahmen in der Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden.
Substitutionsprüfung
Bei allen Gefahrstoffen, bei denen mehr als eine „geringe Gefährdung“ vorliegt, muss grundsätzlich – da vorrangige Schutzmaßnahme – im Rahmen der „Gefährdungsbeurteilung Gefahrstoffe“ zuerst eine Substitutionsprüfung durchgeführt werden. Es ist also zu prüfen, ob der Stoff durch einen weniger gefährlichen Arbeitsstoff bzw. das Verfahren durch ein weniger gefährliches Verfahren ersetzt werden kann. Das Vorgehen zur Substitutionsprüfung wird in der TRGS 600 konkretisiert. Zu prüfen sind demnach insbesondere Technische Regeln zu Ersatzstoffen (TRGS 602 ff.), Informationen der Unfallversicherung, Ländern und Verbänden sowie Sicherheitsdatenblätter und Informationen von Lieferanten. Gibt es Substitutionsmöglichkeiten, werden diese nach technischer Eignung (Konsequenzen für Produktionsverfahren, Produktqualität etc.), Veränderungen bei gesundheitlicher und physikalisch-chemischer Gefährdung (der Ersatzstoff muss die Gefährdung insgesamt verringern; die Abschätzung kann mit den in Anhang II TRGS 600 genannten Modellen erfolgen) und wirtschaftlichen Auswirkungen bewertet und über die Realisierung entschieden. Das Ergebnis der Substitutionsprüfung ist zu dokumentieren – das kann aber zumeist durch Standardsätze erfolgen („Keine Möglichkeit der Substitution“); bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden, erbgutverändernden oder fruchtbarkeitsgefährdenden Gefahrstoffen ist jedoch der Verzicht auf eine technisch mögliche Substitution zu begründen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.
Ihr Juergen Paeger
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