Arbeitsschutzmanagement ISO 45001

Arbeitsschutz in Zeiten von Kurzarbeit

Deutliche Auftragslöcher zwingen viele Firmen zur Kurzarbeit. Falls nicht bald ein Wunder in Form  deutliche höherer Auftragseingänge passiert, droht ein weiterer Abstieg. Neue Aufträge kommen nur bei deutlich niedrigeren Preisen. Da drängen sich manchem Controller und Unternehmer Kürzungen im Arbeitsschutz quasi von allein auf.

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Unternehmer und Führungskräfte sagen mir: „In der Krise verstehen die Aufsichtsbehörden vom Staatlichen Amt für Arbeitsschutz oder die Aufsichtspersonen von der Berufsgenossenschaft, dass wir nicht jeden Luxus an Prüfungen und Schulungen etc. bezahlen können. Selbst umständliche Abläufe aus Gründen des Arbeitsschutzes haben wir gekürzt. Ohne die ungeliebten Schutzgitter geht sowieso vieles schneller. Jetzt können wir wieder mithalten bei den Preisen.“

 

Ist das der richtige Weg?

Es ist zumindest ein einfacher Weg. Doch die „quick and dirty“-Methode ist nicht immer die beste Strategie. Warum? Angenommen, es kommen tatsächlich neue Aufträge. Dann muss man die seit Monaten lahmliegende Produktion wieder hochfahren. Super. Doch damit steigt überproportional das Risiko von Unfällen. Aus der Analyse der Kennzahlen wissen wir, dass das Unfallrisiko parallel zu der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden ansteigt. Das kann man fast wie eine Winkelhalbierende einzeichnen.

Doch es kommt noch etwas hinzu. In Zeiten der Kurzarbeit arbeiten die Beschäftigten in einer „niedrigen Gangart“. Ein Hochfahren der Produktion aus dieser niedrigen Gangart vergrößert das Risiko von Unfällen, Verzögerungen durch Beinaheunfälle etc. noch weiter. Warum? Weil die Hektik in großem Stil wieder losgeht. In normalen Zeiten kommt einem die Hektik normal vor. Aber in nicht-normalen Zeiten halt nicht. Nicht reparierte, kaputte Betriebsmittel oder  schlecht informierte Beschäftigte können jetzt schneller einen Unfall oder Beinaheunfall verursachen.

Dadurch verzögert sich die Auslieferung von Produkten. Dies trägt dies nicht gerade zur Kundenzufriedenheit bei. Möglicherweise wandern die neu gewonnen Kunden dann direkt wieder ab. Ganz abgesehen von Strafzahlungen, erhöhtem Aufwand etc.   Dies kann die eingesparten Kosten für den verringerten Arbeitsschutz mehr als wettmachen.

Das ist Argument Nummer 1 gegen einen verringerten Arbeits- und Gesundheitsschutz in Zeiten der Kurzarbeit.

Aber wie sagt man so schön: Probieren geht vor studieren. Kürzen Sie die Kosten für den Arbeitsschutz, wenn Sie es für richtig halten. Aber dies sollten Sie nur tun, wenn Sie eine mögliche Insolvenz um ein paar Tage oder Wochen aufhalten wollen. Falls Sie jedoch daran glauben, dass es Ihr Unternehmen oder Ihre Abteilung auch noch weitere Jahre gibt, dann würde ich das nicht tun.

Wie ist es denn jetzt in Zeiten der Kurzarbeit? Man hat wieder Zeit. Plötzlich muss nicht jeder Auftrag „gestern“ fertig sein. Sogar die Qualitätskontrolle kann wieder in vernünftigem Umfang stattfinden.  Viele Abläufe können in Zeiten der Kurzarbeit wieder ordentlich nach den QM-Bestimmungen stattfinden. „Wie war noch mal die Verfahrensanweisung Einkauf? Aha, so sollte das ablaufen.  Interessant. Das wusste ich ja gar nicht mehr.“ Solche Aha-Effekte können jetzt öfter vorkommen, wenn man wieder Zeit hat, die Dinge etwas langsamer anzugehen, als ständig auf 120%  Maximalgeschwindigkeit zu fahren, wie es in der Vergangenheit oft war. Im Grunde waren wir alle Gefangene des Alltags.  Dies ist langfristig keine gute Strategie. Man muss auch einmal Zeit haben, über das eigene Tun und Lassen zu reflektieren, um gegen die Betriebsblindheit anzugehen. Die Juristen nennen dies die „normative Kraft des Faktischen“.

Insofern haben die Kurzarbeit und die mit ihr einhergehende verringerte Arbeits-Geschwindigkeit auch einen positiven Wert. Nämlich, dass man wieder mehr Zeit hat. Mein Argument Nr. 2 gegen Kostensenkung im Arbeitsschutz in Zeiten der Kurzarbeit lautet: Wer jetzt in Arbeitsschutz investiert, profitiert davon im nächsten Aufschwung.

Was kann man in Zeiten der Kurzarbeit in Sachen Arbeits- und Gesundheitsschutz sinnvoll tun?

Der erste Punkt ist sicherlich überall, die Zahl der Unfälle weiter zu senken. Selbst ein Unternehmen, dessen Unfallzahlen unter dem jeweiligen Branchendurchschnitt liegen, kann hier noch etwas tun. Das Ziel Null-Unfälle ist vielleicht etwas zu radikal und möglicherweise nicht erreichbar. Aber eine Reduktion um zum Beispiel 25 % bezogen auf die Zahl wäre ein sinnvolles Ziel.

Dies steht übrigens in der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA), die es seit einiger Zeit gibt. Dafür wurde sogar der § 20a im Arbeitsschutzgesetz eingefügt. Alle Beteiligten in Bund, Ländern, Berufsgenossenschaften, Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben daran mehrere Jahre gearbeitet. Sie schlägt folgende Ziele vor:

1.            Senkung der Arbeitsunfälle um 25 % bezogen auf den Stand vergangener Zeit (siehe oben),
2.            Verringerung von Häufigkeit und Schwere von Muskel-Skelett-Belastungen und -Erkrankungen
3.            Verringerung der Häufigkeit und Schwere von Hauterkrankungen
4.            Vervollständigung und Aktualisierung von Gefährdungsbeurteilungen.

Wie soll man dies angehen?

Mein Vorschlag ist, dass man nach einer kurzen Analyse sich auf eins der vier Alternativen beschränkt. Und das geht so:

Eine Senkung der Arbeitsunfälle sollte man nur dann in Angriff nehmen, wenn über die letzten Arbeitsunfälle im Betrieb noch ausreichend Zahlen, Daten, Fakten verfügbar sind, so dass man sie aufbereiten und auswerten kann, um daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen, wie man derartige Vorfälle vermeiden kann und ob sich die Rückschlüsse auch auf andere Abteilungen beziehen können. Muskel- und Skelettbelastungen kommen vor bei einseitigen oder starken Belastungen der Beschäftigten. Beispiele sind Bandscheibenvorfälle in Büros oder bei Montagetätigkeiten. Überall wo Ziehen, Schieben, Heben, Halten oder Tragen  von Lasten vorkommt und dabei Ausfälle in erheblichem Maße zu beobachten sind. Wenn dies bei Ihnen der Fall ist, sollten Sie hier einschreiten.

Hauterkrankungen werden durch längeres Arbeiten mit Händen im feuchten Milieu – etwas beim Spülen von Geschirr oder beim Arbeiten mit Kühlschmierstoffen in der Metallverarbeitung verursacht. Weiterhin durch häufigen Kontakt mit Gefahrstoffen. Wenn dies eine wichtige Belastung in Ihrem Betrieb ist, so sollten Sie hier beginnen.

Falls Sie bisher noch nichts Passendes gefunden haben, so bleibt das vierte Ziel der GDA für Sie: Vervollständigung und Aktualisierung von Gefährdungsbeurteilungen.

 

Was hat dies alles mit Kurzarbeit zu tun?

Nun, jetzt haben viele Produktionsleiter, Betriebsleiter, Sicherheitsfachkräfte und andere Führungskräfte wieder mehr Zeit, sich mit Dingen außerhalb der Arbeitsroutine zu beschäftigen. Aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass es sich lohnt, die oben angesprochenen Dinge voranzutreiben. Jedes Rückenleiden, das so verringert oder vermindert wird, kann sich positiv auf die Arbeitsleistung des oder Beschäftigten auswirken.  Jede Verbesserung der Ergonomie wirkt sich leistungssteigernd und qualitätsverbessernd aus. Ein Beispiel allein ist die Beleuchtung. Eine steigende Lux-Zahl korreliert positiv sowohl mit der Arbeitszufriedenheit als auch mit steigender Fehlerfreiheit.

Ohne es direkt anzustreben, erhöhen Sie so nicht nur die Produktivität durch verbesserte Arbeitsabläufe, sondern verbessern auch die Motivation der Beschäftigten. Insgesamt verbessern Sie die Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens – und tun etwas Positives für den Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Ihr Jörg Stottrop MBA (Sicherheitsfachkraft)

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